Progressive und regressive Assimilation

Assimilation ist ein phonologischer Prozess, bei dem sich ein Laut einem benachbarten Laut in mindestens einer Eigenschaft angleicht. Dieser Mechanismus ist in nahezu allen Sprachen zu beobachten und macht die Aussprache flüssiger und ökonomischer.

Als Quelle verwenden (APA)

Methling, R. (2025, 30. Juli). Progressive und regressive Assimilation. https://www.linguistik.online. Abgerufen am XX.XX.20XX, von https://linguistik.online/progressive-und-regressive-assimilation/

Dieser Artikel wurde am 30.07.2025 von Ralf Methling auf inhaltliche Korrektheit überprüft und aktualisiert.

⚠️ Achtung, dieser Artikel setzt Vorwissen voraus!

Um den Assimilationsprozess richtig zu verstehen, brauchst du Basiswissen über:

🔊 Laute

👄 Artikulationsapparat

🗣️ Lautbezeichnungen nach Artikulationsorgan und Artikulationsort

📊 Übersicht über alle deutschen Konsonanten

🎙️ Alle Artikulationsarten: Plosiv, Frikativ, Nasal, Liquida

Assimilation ist der häufigste phonologische Prozess. Er erleichtert die Aussprache von Lauten und ist somit ein nützlicher Mechanismus.

Was ist Assimilation?

In der gesprochenen Sprache verschmelzen Laute zu einem kontinuierlichen Fluss, ohne Pausen zwischen den Wörtern. Dabei kommt es im natürlichen Sprechen oft zu phonetischen Anpassungen, die durch Assimilation erklärt werden können.

Beispiel: Assimilation im Deutschen

Wenn man das Brot in einem natürlichen Sprechtempo ausspricht, klingt der Laut [b] in Brot eher wie ein [p]. Das stimmhafte [b] wird also zu einem stimmlosen [p].

  • [das ˈbʁoːt] ➡️ [das ˈpʁoːt]

Dieser Vorgang ist nicht auf Anhieb erkennbar, aber bei genauerem Hinhören wirst du ihn bemerken. Es ist wichtig, dass du dich nicht darum bemühst, deutlich zu artikulieren, sondern natürlich redest.

⏩ Progressive Assimilation

Das Beispiel zeigt, dass der stimmlose Laut [s] den nachfolgenden Laut [b] in Brot beeinflusst und ihn bezüglich der Stimmhaftigkeit angleicht. Der Laut [b] wird zu [p] und somit ebenfalls stimmlos. Dies nennt man „progressive Assimilation“ (also: „nach vorne gerichtet“). In der Fachliteratur wird sie auch „perseverative Assimilation“ genannt.

Ein weiteres Beispiel für progressive Assimilation

In aus Dresden verliert das [d] in Dresden seine Stimmhaftigkeit. Aus Dresden klingt dadurch eher wie aus Tresden. Die Stimmlosigkeit des Lautes [s] wirkt sich nach vorne gerichtet (progressiv) auf den folgenden Laut [d] aus und macht das [d] zum stimmlosen [t].

  • [aʊ̯s ˈdʁeːsdn̩] ➡️ [aʊ̯s ˈtʁeːsdn̩]

⏪ Regressive Assimilation

Analog dazu kann auch „nach hinten gerichtet“ (regressiv) assimiliert werden. Man nennt dies auch „antizipative Assimilation“ wie in in Bezug. Das [n] aus in wird zu einem bilabialen [m]. Der Grund hierfür ist der folgende bilabiale Laut [b] aus Bezug. Die Eigenschaft bilabial überträgt sich rückwirkend auf den Laut [n] und macht ihn so zu einem [m].

  • n bəˈtsuːk] ➡️ [ɪm bəˈtsuːk]

Häufig im Deutschen: Nasalassimilation

Die Nasalassimilation ist ein typisch deutscher Prozess. Bei der progressiven Nasalassimilation passt sich ein Nasal an einen vorhergehenden Laut an. Im Deutschen ist das oft der Laut [n] wie zum Beispiel im Wort Haken. Das [n] am Ende des Wortes, wird nicht alveolar gesprochen, sondern als velarer Laut [ŋ]. Verursacher ist der vorhergehende Laut [k], der auch velar ist. Er überträgt diese Eigenschaft auf den Nasal [n].

  • [ˈhaːkən] ➡️ [ˈhaːkŋ]
Bonuswissen: Schwa-Elision

Beim Wort Haken passiert im schnellen Sprachfluss nicht nur eine Nasalassimilation, sondern zusätzlich eine Schwa-Elision (Wegfall des unbetonten [ə]).

Das ergibt:

  • Sorgfältige Aussprache:
    [ˈhaːkən]
  • Umgangssprachliche, schnelle Aussprache:
    [ˈhaːkŋ]

➡️ Zwei Prozesse gleichzeitig:

Schwa-Elision: Das unbetonte [ə] fällt weg.

Progressive Nasalassimilation: [n] → [ŋ] (Übernahme des Artikulationsorts vom [k]).

Regressive Nasalassimilation tritt gelegentlich auch auf. Zum Beispiel beim Wort sanft. Der Laut [n] in wird zu einem [m], da der folgende Laut [f] sich rückwirkend auf den Laut [n] auswirkt. [f] ist ein labiodentaler Laut, [n] ein alveolarer Laut. [f] gleicht [n] an seine Artikulationsstelle (Oberlippe) an.

  • [zanft] ➡️ [zamft]

FAQ: Progressive und regressive Assimilation

Was bedeutet Assimilation in der Linguistik?

Assimilation bezeichnet einen lautlichen Anpassungsprozess, bei dem ein Laut seine Artikulation an einen benachbarten Laut angleicht. Dadurch entstehen im Sprachfluss oft leichtere und flüssigere Übergänge zwischen Lauten.

Was ist progressive Assimilation?

Progressive Assimilation liegt vor, wenn ein Laut durch einen vorangehenden Laut beeinflusst wird. Das bedeutet, der folgende Laut passt sich in bestimmten Merkmalen (z. B. Artikulationsort oder Stimmhaftigkeit) dem vorherigen Laut an.

Was ist regressive Assimilation?

Regressive Assimilation ist das Gegenteil der progressiven Assimilation: Hier beeinflusst ein nachfolgender Laut einen vorhergehenden Laut. Der vorausgehende Laut ändert sich also in Richtung des nachfolgenden Lautes.

In welchen Sprachen kommt Assimilation häufig vor?

Assimilation tritt in fast allen Sprachen auf, besonders in schnellen oder informellen Sprechsituationen. Beispiele finden sich im Deutschen, Englischen, Französischen und vielen anderen Sprachen.

Welche Arten der Assimilation gibt es?

Es gibt verschiedene Arten, z. B. nach Artikulationsort (bilabial, alveolar, velar), nach Artikulationsart (z. B. Plosive, Nasale) oder nach Stimmhaftigkeit (z. B. stimmhafte/stimmlosen Anpassungen).

Warum ist Assimilation in der gesprochenen Sprache wichtig?

Assimilation erleichtert den Sprachfluss und macht die Artikulation effizienter. Sie ist ein natürlicher Teil der Sprachproduktion und trägt dazu bei, dass Sprache schnell und flüssig ausgesprochen werden kann.

Gibt es Beispiele für Assimilation im Deutschen?

Ja, z. B. im Wort „haben wir“ → „ham wir“ (regressive Assimilation) oder „Lebkuchen“ → „Lepkuchen“ (progressive Assimilation).

Quellen

Eisenberg, P. (2009). Das Phonem und Graphem. In: Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Die Grammatik (8. überarbeitete Aufl., S. 19 – 56). Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag.

Methling, R. (2024). Germanistische Linguistik für Dummies. Wiley-VCH.

Spillmann, H. O. (2000): Einführung in die germanistische Linguistik. Langenscheidt.

Šileikaitė-kaishauri, D. (2015). Einführung in die Phonetik und Phonologie des Deutschen.

Hall, T. (2000). Alan: Phonologie. Eine Einführung.

Über den Autor

Dieser Artikel wurde von Ralf Methling geschrieben. Er ist Dozent für Germanistische Linguistik und Fremdsprachendidaktik in den Niederlanden. Auf seinem YouTube-Kanal Linguistik einfach einfach und als Autor von linguistischer Fachliteratur publiziert er über Themen aus der Sprachwissenschaft.

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