Gibt es eine Antwort auf die Frage, was das längste deutsche Wort ist? Ja und nein. In diesem Beitrag erkläre ich dir, warum es so schwierig ist, eine Antwort zu finden und warum es doch so etwas wie das längste deutsche Wort gibt.
Als Quelle verwenden (APA)
Methling, R. (2022, 02. Juli). Das längste deutsche Wort? https://www.linguistik.online. Abgerufen am XX.XX.20XX, von https://linguistik.online/2022/07/01/das-langste-deutsche-wort/
Auf der Suche nach dem längsten deutschen Wort stößt man auf einige Probleme. Ich habe für dich die sechs größten Hürden, die es zu überwinden gilt, zusammengefasst.
Problem 1 – Mündliche Sprache verfliegt
Das erste große Problem ist, dass wir nur das längste jemals geschriebene Wort finden können. Denn mündliche Sprache besteht aus Druckunterschieden, die „in der Luft“ verfliegen. Zwar können wir Sprache aufnehmen, doch dann müssten wir auf der ganzen Welt à la Big Brother Mikrofone platzieren. Datenschutztechnisch heutzutage (noch?) nicht möglich.
Wir suchen also das längste jemals geschriebene Wort.
Problem 2 – Laute oder Buchstaben
Laute sind keine Buchstaben. Das Wort „Text“ besteht nämlich aus vier Buchstaben, aber aus fünf Lauten, da das „x“ [ks] ausgesprochen wird. Welches Wort ist also länger: „Text“ oder „Blume“? Sie sind beide gleichlang, wenn man die Laute zählt. „Blume“ ist länger, wenn man die Buchstaben zählt. Wir müssen uns also zwischen Lauten und Buchstaben entscheiden. Da wir uns wegen Problem 1 bei der Suche nach dem längsten deutschen Wort sowieso nur auf geschriebene Wörter richten, ist es logisch, Buchstaben zu zählen.
Problem 3 – Was ist ein Wort?
Diese Frage kommt wahrscheinlich etwas unerwartet. Aber obwohl wir ständig das Wort „Wort“ verwenden, ist keinem so recht deutlich, was ein „Wort“ ist. Um das längste deutsche Wort finden zu können, brauchen wir eine Definition. Wo beginnt ein Wort und wo hört es auf?
Wenn du jetzt direkt an Leerzeichen denkst, die ja bekanntlich Wörter voneinander trennen, dann muss ich dich leider enttäuschen. Leerzeichen eignen sich schon mal nicht, um zu entscheiden, ob es sich um ein Wort oder mehrere handelt. Sieh dir dazu folgendes Beispiel an:
„Drehe den Wasserhahn zu!“
Handelt es sich bei „zudrehen“ um ein Wort oder um zwei? Im Beispielsatz wird es getrennt voneinander geschrieben, in seiner Grundform zusammen. Aber auch, wenn man immer von der Grundform ausgeht, also von der Form, die man im Wörterbuch findet, gibt es einzelne Wörter, die getrennt voneinander geschrieben werden (können):
- so dass / sodass
- zuhause / zu Hause
- mithilfe / mit Hilfe
Ob mit oder ohne Leerzeichen, ein Wort wie „mit Hilfe“ bleibt ein Wort.
Weitere Informationen
Zu der Frage, was ein Wort ist, habe ich bereits einen Beitrag geschrieben, in dem ich noch einmal genauer darauf eingehe. Wenn du dem Link folgst, lernst du auch, was der Unterschied zwischen Wortform und Lexem ist.
Ein weiteres Problem mit den Leerzeichen zur Worttrennung ist, dass die Schriftsprache von uns Menschen gemacht wurde. Es ist kein natürliches System, sondern eine Erfindung, die es uns möglich macht, Sprache, die von Natur aus mündlich ist, schriftlich wiederzugeben. Auch die Leerzeichen wurden also erfunden und hätten theoretisch überall stehen können. Oder man hätte überhaupt keine Leerzeichen verwenden können. Trotzdem hätte es Wörter gegeben. Logisch wären auch Leerzeichen nach jeder Silbe gewesen. Aber zum Glück werden Leerzeichen in unserem Schriftsystem nicht völlig willkürlich gesetzt, sondern fast immer zwischen Bedeutungseinheiten. Dieser Fakt macht es uns möglich, eben doch eine Definition für den Begriff „Wort“ zu geben. Ein Wort ist eine Bedeutungseinheit. In der Linguistik spricht man von einem „Lexem“.
Das Praktische an dieser Definition ist, dass sie auch auf Wörter in anderen Sprachen zutrifft. Ein „wedding ring“ ist somit ein Wort und es sind nicht zwei Wörter, denn es trägt eine Bedeutung.
Das längste jemals geschriebene deutsche Wort zu suchen, bedeutet also, dass man die längste Bedeutungseinheit sucht.
Problem 4 – Okkasionalismen
Letztens habe ich auf einem Werbeplakat das Wort „So-ein-blöder-Tag-Kissen“ eines Möbelherstellers gelesen. Ist es ein Wort? Ja, definitiv. Es handelt sich um eine bestimmte Art Kissen, es hat also eine Bedeutung. Die Frage ist allerdings, wie häufig ein Wort vorkommen muss, um als Wort zu zählen. Denn ich kann auch dieses Wort bilden: „wenn-ich-jetzt-nicht-sofort-meinen-Willen-kriege-dann-stampfe-ich-auf-den-Boden-Stimmung“. Alle Eltern werden verstehen, was ich meine, obwohl ich bestimmt der einzige bin, der jemals dieses Wort geschrieben hat.
Aus diesem Grund berücksichtigt der Rechtschreibduden nur Wörter, die mindestens 5-Mal im Dudenkorpus vorkommen.
Was ist das Dudenkorpus?
Das Dudenkorpus ist eine digitale Datenbank, die eine repräsentative Anzahl verschiedener Texte umfasst. Ziel ist es, die deutsche schriftliche Sprache abzubilden. Das Korpus enthält viele unterschiedliche Textsorten: Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Romane, aber auch Reparatur- und Bastelanleitungen.
Mithilfe dieses Korpus beobachtet die Dudenredaktion die Sprache. Denn Sprache wird von den Menschen, die sie verwenden, gelenkt. Das Korpus dient auch dazu, neue Wörter zu ermitteln, die in das Wörterbuch aufgenommen werden.
Solche Ad-hoc-Bildungen (Okkasionalismen), die weniger als 5-Mal vorkommen, müssen wir bei unserer Suche nach dem längsten deutschen Wort ausschließen. Denn es wäre immer möglich, ein noch längeres „Wort“ zu bilden, nur zu dem Zweck, ein noch längeres Wort zu bilden. Das gesuchte längste deutsche Wort (Bedeutungseinheit) soll also mit einer gewissen Häufigkeit von unterschiedlichen Personen geschrieben worden sein. Außerdem schließen wir alle Wörter aus, die nur zu dem Zweck gebildet wurden, ein besonders langes Wort zu bilden. Ansonsten würde auch „Rhabarberbarbarababarenbarbärbel“ als Wort zählen.
Wir suchen also die längste schriftlich dokumentierte Bedeutungseinheit, die kein Okkasionalismus ist.
Problem 5 – technische Wörter
Das längste deutsche Wort finden wir am ehesten in der Chemie, denn chemische Strukturen und ihre Namen können sehr lang werden. 1964 veröffentlichte die Fachzeitschrift Chemical Abstracts den Namen eines Proteins, der 1185 Zeichen umfasst:
Acetylseryltyrosylserylisoleucylthreonylserylprolylserylglutaminylphenylalanylvalylphenylalanylleucylserylserylvalyltryptophylalanylaspartylprolylisoleucylglutamylleucylleucylasparaginylvalylcysteinylthreonylserylserylleucylglycylasparaginylglutaminylphenylalanylglutaminylthreonylglutaminylglutaminylalanylarginylthreonylthreonylglutaminylvalylglutaminylglutaminylphenylalanylserylglutaminylvalyltryptophyllysylprolylphenylalanylprolylglutaminylserylthreonylvalylarginylphenylalanylprolylglycylaspartylvalyltyrosyllysylvalyltyrosylarginyltyrosylasparaginylalanylvalylleucylaspartylprolylleucylisoleucylthreonylalanylleucylleucylglycylthreonylphenylalanylaspartylthreonylarginylasparaginylarginylisoleucylisoleucylglutamylvalylglutamylasparaginylglutaminylglutaminylserylprolylthreonylthreonylalanylglutamylthreonylleucylaspartylalanylthreonylarginylarginylvalylaspartylaspartylalanylthreonylvalylalanylisoleucylarginylserylalanylasparaginylisoleucyasparaginylleucylvalylasparaginylglutamylleucylvalylarginylglycylthreonylglycylleucyltyrosylasparaginylglutaminylasparaginylthreonylphenylalanylglutamylserylmethionylserylglycylleucylvalyltryptophylthreonylserylalanylprolylalanylserine
Es handelt sich hierbei um ein technisches Wort, denn es unterscheidet sich deutlich von den Wörtern aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch. Der Buchstabe „y“ kommt hierin zum Beispiel viel häufiger vor als in den Wörtern aus unserem Gebrauchswortschatz.
Aber es ist definitiv noch nicht das längste technische Wort. Das Protein „Titin“ besteht aus ungefähr 30 Aminosäuren und umfasst 189.819 Buchstaben. Das sind circa 105 Seiten Text. Theoretisch gibt es sogar noch längere Wörter. Es gibt Titin-Varianten, die aus bis zu 38.000 Aminosäuren bestehen. Doch diese Wörter wurden niemals gedruckt oder digital publiziert.
Wir suchen also die längste schriftlich dokumentierte Bedeutungseinheit, die kein Okkasionalismus und kein technisches Wort ist.
Problem 6 – Ortsnamen
Einige sehr lange Wörter, die in deutschen Texten vorkommen, sind Ortsnamen. Der Name einer Gemeinde auf einer Insel im Nordwesten von Wales lautet: „Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch“. Auch diese Wörter müssen wir ausschließen.
Wir suchen also die längste schriftlich dokumentierte Bedeutungseinheit, die kein Okkasionalismus, kein technisches Wort und kein Ortsname ist.
Problem 7 – veraltete Gesetze und Verordnungen
Sehr lange Wörter stammen hauptsächlich aus der Rechts- und Verwaltungssprache. So auch das Wort: „Rinderkennzeichnungsfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“. Doch das Gesetz wurde 2013 abgeschafft und wird seitdem nicht mehr in Texten verwendet. Auch die „Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung“ besteht heutzutage nicht mehr. Veraltete Gesetze und Verordnungen sollten deswegen auch nicht mehr als längstes deutsches Wort zählen.
Wir suchen also die aktuell längste schriftlich dokumentierte Bedeutungseinheit, die kein Okkasionalismus, kein technisches Wort und kein Ortsname ist.
Das längste deutsche Wort
All diese Einschränkungen führen uns zum folgenden Wort, dass 79 Buchstaben umfasst:
„Straßenentwässerungsinvestitionskostenschuldendienstumlage“
Auch dieses Wort stammt aus der Recht- und Verwaltungssprache. Es ist eine typische Fachsprache, bei der es auf Genauigkeit ankommt. Komposita, wie dieses Wortmonster, werden diesem Anspruch gerecht, denn sie bestimmen den Kopf näher. Der Kopf dieses Wortes lautet „Umlage“. Es handelt sich also um eine ganz spezifische Umlage.
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Quellen
Duden. (o. D.). Die längsten Wörter im Dudenkorpus. duden.de. Abgerufen am 01. Juli 2022, von https://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/Die-langsten-Worter-im-Dudenkorpus
Duden. (o. D.). Die längsten Wörter im Dudenkorpus. duden.de. Abgerufen am 01. Juli 2022, von https://www.duden.de/ueber_duden/Partner
Methling, R. (2022): Warum die Wörter im Deutschen so lang sind. Dudenverlag