Was ist ein Wort?

Was ist ein Wort? Das ist doch eine völlig überflüssige Frage! Jeder weiß, was ein Wort ist. Oder?

Probieren wir mal aus, ob es wirklich so selbstverständlich ist, was ein Wort ist.

„Die Türme der Burg waren sehr hoch.“
„Auf den Türmen nisteten Vögel.“
„Der eine Turm war dreißig Meter hoch.“

Um wie viele Wörter handelt es sich bei den fettgedruckten Wörtern?

a) 1 Wort: Nämlich einmal das Wort Turm in drei Sätzen.
b) 3 Wörter: Einmal das Wort Türme, einmal das Wort Türmen und einmal das Wort Turm?
c) 2 Wörter: Zweimal das Wort Turm im Nominativ, einmal im Dativ?

Auf jeden Fall hast du richtig geantwortet! Wie ich darauf komme? Alle Antworten sind richtig. Denn hinter jeder der drei Antworten steht eine bestimmte Vorstellung von „Wort“. Darum ist das Wort „Wort“ in der Linguistik auch unbrauchbar. Es ist einfach zu ungenau und es gibt keine einheitliche Antwort auf die Frage, was ein Wort ist.

Sehen wir uns noch ein Beispiel an. Besteht der Satz „Ich lade dich ein“ aus drei Wörtern oder aus vier? Es sind vier Wörter, die durch Wortzwischenräume voneinander getrennt sind. Es könnten aber genauso gut drei sein, denn die Bestandteile „ein“ und „lade“ lauten in ihrer Grundform: „einladen“. So findet man das Verb auch im Wörterbuch. Es gibt nämlich im Deutschen sogenannte Partikelverben, bei denen Verbpartikeln abgetrennt werden können („ein-laden“, „raus-gehen“ …) und es gibt Partikelverben, bei denen das nicht geht („beladen“, „entgehen“). „Ich laden den Bus be“ ist nämlich kein deutscher Satz. „Ich lade den Bus ein.“, aber wohl.

Noch schwieriger ist die Definition von Wort in anderen Sprachen. Dieses Wort hier stammt aus dem Westgrönländischen, es ist die Sprache der Inuit:

ilinniarnertuunngoqqammerpoq

Dieses Wort bedeutet: „Sie ist kürzlich Studentin geworden“. In solchen Sprachen, man nennt sie auch synthetische Sprachen, verschmelzen die einzelnen Informationen, die einen Satz bilden. Klare Grenzen, wie zum Beispiel Wortzwischenräume, gibt es kaum.

Also, halten wir fest. Der Begriff „Wort“ ist in der Linguistik völlig unbrauchbar, da es keine einheitliche Definition gibt. Stattdessen gibt es den Begriff „Morphem“, einen der wichtigsten Begriffe der Linguistik, der dem Begriff „Wort“ ziemlich nahekommt.

Quellen

Spillmann, H. O. (2000): Einführung in die germanistische Linguistik. Langenscheidt.

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