Finite und infinite Verben

Ein finites Verb (auch: konjugiertes Verb) trägt grammatische Informationen, die mit dem Subjekt übereinstimmen. Infinite Verben dahingegen nicht. Außerdem gibt es Zweifelsfälle, bei denen nicht klar ist, ob es sich um ein finites oder um ein infinites Verb handelt. Ich erkläre dir Schritt für Schritt, wie du finite und infinite Verben erkennst.

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Was ist ein finites Verb?

Kurze Sätze haben im Deutschen meistens ein Subjekt und ein Prädikat:

„Ich rede.“

Das Subjekt ist „ich“ (Wer oder was?) und das Prädikat ist „rede“ (Was tut das Subjekt?). Das Prädikat besteht nur aus einem Verb. Wenn das Prädikat nur aus einem Verb besteht, dann ist es gleichzeitig auch ein finites Verb. Das ist immer so.

Die finite Verbform ist die Form, die alleine das Prädikat bilden kann.

Man kann allerdings nicht sagen, dass ein Prädikat immer ein Verb sein muss, da z. B. im Russischen in manchen Konstruktionen auch Adjektive das Prädikat bilden können. Im Deutschen dahingegen schon. Ein Prädikat muss immer auch ein Verb sein.

Merkmale der finiten Verben

In Sprachen wie dem Deutschen kann man das finite Verb zudem an der Personalendung erkennen. Die Endung „t“ in „steht“ ist die Endung für die 3. Person Singular:

Person/Subjektfinite Formsteht für
ichsteh-e1. Person Singular
dusteh-st2. Person Singular
er/sie/essteh-t3. Person Singular<=
wirsteh-en1. Person Plural
ihrsteh-t2. Person Plural
siesteh-en3. Person Plural

Für Experten: es handelt sich bei den Endungen der finiten Verben um gebundene grammatische Morpheme.

Wenn sich das Subjekt ändert, ändert sich auch die finite Form des Verbs. Das siehst du auch in der Tabelle.

Bis hierhin zusammengefasst: Eine finite Verbform ist ein Verb, das morphologisch (= von der Form her) dem Subjekt im Satz angepasst ist. Das finite Verb verrät uns die Person (1., 2., oder 3. Person) und den Numerus (Singular oder Plural). Dies nennt man „Kongruenz“.

Das Prädikat kongruiert im Deutschen mit dem Subjekt.

Für Experten: Aber nicht nur Person und Numerus, sondern auch die Zeit (Tempus) und der Modus (Indikativ, Konjunktiv oder Imperativ) und das Genus Verbi (Aktiv oder Passiv) werden mit der finiten Form angegeben. So kann man über das finite Verb „steht“ auch sagen, dass es im Präsens Indikativ Aktiv steht.

Beispiel

Finit ist zum Beispiel das Verb „schreibst“ im Satz: „Du schreibst aber schnell!“, da es eine Personalendung trägt (die Endung „–st“ von „schreibst“, die 2. Person Singular). Es muss in der 2. Person Singular stehen, da auch das Subjekt „Du“ in der 2. Person Singular steht.

Für Experten: Eine Verbform wie „schreibst“ ist eine synthetische Verbform. Das bedeutet, eine zusammengesetzte Verbform, an der man diese Informationen ablesen kann. Es gibt viele Sprachen, die das nicht können. Grammatische Informationen werden dann vom Verb getrennt.

Was sind infinite Verben?

In einigen deutschen Sätzen findest du aber neben dem finiten Verb noch weitere Verben. Und jetzt wird es sehr einfach: Diese Verben sind IMMER infinit. Ein finites Verb gibt es nur einmal pro Satz!

Beispiel

Im Satz: „Der Maurer hat mit seinem Kollegen gesprochen“ finden wir zwei Verben. Nur eines davon kann finit sein. Du siehst, dass das Verb „hat“ eine Endung trägt. Es könnte darum, das finite Verb sein. Das kannst du prüfen, indem du das Subjekt (der Maurer) durch eine andere Person ersetzt: „Die Maurer haben mit seinem Kollegen gesprochen.“ Oh ja, das Verb „hat“ hat seine Form geändert. Es ist also eindeutig das finite Verb (Stichwort: Kongruenz). Das Verb „gesprochen“ muss somit infinit sein.

Die infiniten Formen sind feste Formen eines Verbs. Das sind immer die drei Folgenden:

  • Partizip I (z. B.: „stehend“)
  • Partizip II (z. B.: „gestanden“)
  • und der Infinitiv (z. B.: „stehen“).

In dem Satz:

„Du bist aufgestanden.“

ist nur „bist“ finit, das andere Verb „aufgestanden“ ist infinit. Warum noch mal?

Begründung 1
„Bist“ ist finit, da es in der 2. Person Singular steht und mit der Person und Anzahl des Subjekts „du“ übereinstimmt.

Begründung 2
Die Form „bist“ kann in einem selbstständigen Satz das Prädikat bilden, wie in „Du bist Lehrer“.

„Aufgestanden“ ist infinit, da es sich um ein Partizip II handelt. Die Verbform „aufgestanden“ kann zudem kein Prädikat in einem selbstständigen Satz bilden. „Du aufgestanden heute“, ist kein korrekter deutscher Satz.

Vertiefung: Zweifelsfälle

Umstritten ist allerdings der Status des Imperativs als finite Verbform. Einige Linguisten rechnen ihn nicht dazu und begründen das damit, dass es diese Form nur im Präsens Aktiv gibt. Zudem erhält der Imperativ auch nicht wirklich eine Personalendung, da es neben der zweiten Person keine weitere gibt. „Sprich schneller“ zum Beispiel impliziert eine 2. Person (die Person, die schneller sprechen soll). Formen im Imperativ tragen also viel weniger grammatische Informationen als ein eindeutig finites Verb wie „gehst“.

Aber es gibt auch zahlreiche Gegenbeispiele dafür, dass der Imperativ dann doch nicht so beschränkt ist. Denn Passivformen kommen sehr wohl vor: „Sei gegrüßt!“, und „Seid mir willkommen!“. Und auch die Aussage, dass die Information „Tempus“ im Imperativ nicht ausgedrückt werden kann, ist fraglich. Goethe hat zum Beispiel sehr wohl einen Imperativ Perfekt verwendet: „Besen! Besen! Seids gewesen!“ Wenn man also die Frage sehr streng betrachtet, bleibt nur das Argument übrig, dass der Imperativ keine finite Form ist, da nur die 2. Person ausgedrückt werden kann. In anderen Sprachen ist es übrigens sehr wohl möglich, dort gibt es auch Imperative in anderen Personen.

Festhalten können wir aber für das Deutsche, dass Imperative auf jeden Fall etwas anderes sind als klassische infinite Formen wie der Infinitiv eines Verbs. Denn Imperative enthalten implizit ein Subjekt, mit dem sie auf jeden Fall im Numerus kongruieren, das heißt übereinstimmen. In „Mach das Fenster zu!“ enthält „mach“ die Information, dass es um eine Person geht. Bei einem Infinitiv ist das nicht der Fall. Man kann sogar dieses implizite Subjekt auch explizit hinzufügen, um der Aussage mehr Nachdruck zu verleihen: „Mach du bloß das Fenster zu“.

Wenn wir uns also ein Spektrum der Finitheit von Verben vorstellen, dann befinden sich Imperative zwischen Infinitiven und konjugierten Verben.

Spektrum der Finitheit: Die Imperativform „lauf“ befindet sich irgendwo zwischen dem finiten Verb „läufst“ und dem infiniten Verb „laufen“.
Spektrum der Finitheit

Finite Verben und Satzstellung

Eine Sache möchte ich zum Abschluss noch ansprechen, und das ist die Rolle der finiten Verbformen bei der Satzstellung. In Hauptsätzen vom Typ „Aussagesatz“ steht das finite Verb immer an zweiter Stelle (nicht zu verwechseln mit dem zweiten Wort), unabhängig davon, von welchem Satzglied die erste Stelle besetzt wird:

„Ich bin gefahren.“
„Am frühen Nachmittag habe ich noch geschlafen.“

In Entscheidungsfragen und in Imperativsätzen sowie in uneingeleiteten Konditionalsätzen steht das finite Verb an erster Stelle:

Bist du gefahren?“
Schlaf während des Meetings nicht wieder ein!“
Solltest du morgen wieder verschlafen, werde ich …“

In Nebensätzen, die durch eine Konjunktion eingeleitet werden (hier: „weil“), steht das finite Verb aber an letzter Stelle:

„…, weil ich gestern schon gefahren bin.“

Zusammenfassung

Eine finite Verbform richtet sich in Person und Numerus nach dem Subjekt des Satzes. An ihr werden außerdem Tempus und Modus zum Ausdruck gebracht. Es kann nur eine finite Verbform pro Satz geben. Die restlichen Verben sind infinite Verben.

Über den Autor
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Ralf Methling ist Dozent für Germanistische Linguistik und Fremdsprachendidaktik in den Niederlanden. Als freiberuflicher Content Creator und Autor schreibt er über Themen aus der Sprachwissenschaft.

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Quellen

Vogel, P. M. (2010). Morphologie. In E. Hentschel (Hrsg.), Deutsche Grammatik. Walter de Gruyter.

Spillmann, H. O. (2000): Einführung in die germanistische Linguistik. Langenscheidt.

Ten Cate, A. P., Lodder, H. G., & Kootte, A. (2004). Deutsche Grammatik. Eine kontrastiv deutsch-niederländische Beschreibung für den Fremdsprachenerwerb, 2.

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