In jeder Sprache gibt es Fälle, in denen zwei verschiedene Laute nicht bedeutungsunterscheidend sind. Man sagt dazu auch, dass sie nicht distinktiv sind. Es handelt sich dabei um Allophone. Dieser Artikel führt dich in das Konzept ein und zeigt anhand deutscher Beispiele, wie sich verschiedene Laute unterscheiden, ohne dabei die Bedeutung eines Wortes zu beeinflussen.
⚠️ Für diesen Artikel benötigst du das folgende Vorwissen!
Die meisten meiner Artikel eignen sich auch als Einstieg in die Linguistik. Für diesen Beitrag benötigst du aber ein ganzes Paket an Vorwissen. Du solltest schon wissen, was Phone (also Laute) und Phoneme sind. Minimalpaare sollten dir auch etwas sagen und aus dem Bereich der Phonetik sollte dir klar sein, was Artikulationsort, Artikulationsart und Stimmbeteiligung bedeutet. Zudem sollten dir die Konsonanten [ç] und [x] etwas sagen. Im folgenden Video kannst du dein Wissen auffrischen! 💪
Grundlagen der Phonologie
Phone und Phoneme – Der Unterschied
Bevor wir uns mit Allophonen befassen, ist es wichtig, zwei Grundbegriffe der Phonologie kurz zu wiederholen: Phone und Phoneme.
- Phone sind die konkreten Laute, die man hören und messen kann. Sie sind physikalisch.
- Phoneme hingegen sind abstrakte Einheiten. Sie unterscheiden die Bedeutung zwischen Wörtern.
Ein einfaches Beispiel:
- /b/ und /p/ in „Bein“ vs. „Pein“ sind zwei verschiedene Phoneme, da sie die Bedeutung des Wortes verändern. Sobald sie ausgesprochen werden, sind sie auch Phone. Klar, denn man kann sie messen und hören.
An dieser Stelle fragst du dich sicherlich: Gibt es dann auch Phone, die keine Phoneme sind? Genau das ist die Frage, um die es in diesem Beitrag geht.
Was sind Allophone?
Wenn bei zwei verschiedenen Lauten (Phonen) nachgewiesen werden kann, dass sie nicht bedeutungsunterscheidend sind, handelt es sich um Allophone. Im Deutschen gibt es zum Beispiel die Phone [ç] und [x]. Den [ç]-Laut in den Wörtern: „Licht“, „lächeln“ und „Nächte“ könnte man auch als [x]-Laut aussprechen, ohne dass sich die Bedeutung ändert. Klingt zwar komisch, aber die Bedeutung hat sich nicht geändert.
➡️ /ç/ und /x/ sind Allophone des Deutschen.
Wenn man den Laut [ç] jetzt aber im Wort „Licht“ durch den Laut [s] auswechselt, entsteht sehr wohl ein neues Wort mit einer neuen Bedeutung: „List“. [ç] und [s] sind also eindeutig Phoneme, sie sind Minimalpaare. Halten wir fest: die Phone [ç] und [x] sind nicht distinktiv, also nicht bedeutungsunterscheidend, während [ç] und [s] zum Beispiel sehr wohl bedeutungsunterscheidend sind.
➡️ [ç] und [s] sind keine Allophone.
Komplementäre Distribution der Allophone
Wenn wir uns jetzt ansehen, wann im Deutschen der Laut [ç] und wann der Laut [x] gesprochen wird, dann fällt auf, dass [x] nach den Vokalen [a], [o], [u] und dem Diphthong [au] steht, [ç] nach allen anderen Lauten.
- Dach – dich ([x] – [ç])
- Loch – Löcher ([x] – [ç])
- Kuchen – Küche ([x] – [ç])
Es gibt also ganz klare Regeln, wann ein [ç] und wann ein [x] gesprochen werden muss. Das bedeutet aber auch, dass dort, wo [x] steht, niemals [ç] stehen kann und umgekehrt. Es gibt kein einziges deutsches Wort, in dem auf einen der Vokale [a], [o] [u] oder [au] der Laut [ç] folgt. Man sagt dazu, dass die beiden Laute eine komplementäre Distribution haben. Sie schließen sich sozusagen gegenseitig aus.

Komplementäre Distribution bedeutet: Zwei Laute kommen nie im gleichen Kontext vor. Ihre Verteilung ist also regelhaft und vorhersagbar.
Phonetische Ähnlichkeit der Allophone
Wenn man die komplementäre Distribution nachgewiesen hat, kann man aber noch nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich um zwei Allophone handelt. Es muss noch ein weiteres Kriterium zutreffen: Die phonetische Nähe.
[ç] und [x] sind sich phonetisch sehr ähnlich:
- [ç] und [x] haben den gleichen Artikulationsmodus (z. B. Frikativ).
- [ç] und [x] haben einen benachbarten Artikulationsort (z. B. palatal vs. velar).
Wenn also bei zwei Phonen:
1. phonetische Nachbarschaft
und
2. komplementäre Distribution
gegeben ist, handelt es sich um Allophone, und noch genauer ausgedrückt: um kombinatorische Varianten ein und desselben Phonems. [ç] und [x] sind also kombinatorische Varianten des Phonems /ç/.
Gegenbeispiel: [h] vs. [ŋ]
Warum aber ist das Kriterium der phonetischen Ähnlichkeit wichtig? Sehen wir uns dazu die Laute [h] und [ŋ] an. Diese beiden Laute stehen (fast immer) in komplementärer Distribution.
- [h] kann nur am Wortanfang auftreten: „Haus“, „heiß“, aber niemals am Ende eines Wortes.
- [ŋ] kommt aber am Ende eines Wortes vor: „lang“, „Ding“, aber eben niemals am Anfang.
Es sind aber keine Allophone desselben Phonems, weil [h] und [ŋ] phonetisch sehr unterschiedlich sind. [h] ist ein stimmloser glottaler Frikativ, [ŋ] ein stimmhafter velarer Nasal.
Freie Allophone (freie Varianten)
Bisher haben wir besprochen, dass die Verteilung von Phonen immer anhand von Regeln abgeleitet werden muss. Es gibt aber noch eine andere Form der Allophone.
Wenn die Verteilung zweier Allophone nicht wie bei dem Beispiel [ç] und [x] vorhersagbar ist, weil es klare phonologische Regeln gibt, die beschreiben, wann welcher Fall auftritt, dann sind es fakultative Varianten, die man auch „freie Varianten“ nennt. Das bedeutet, dass man als Sprecher nach seinem freien Willen entscheiden kann, welches Phon man auswählt, ohne dass sich die Bedeutung ändert.
Zungen-R vs. Zäpfchen-R
Ein Beispiel im Deutschen ist das Zungen-R [r] und das Zäpfchen-R [ʀ], die freie Varianten des Phonems /r/ darstellen. Beide Aussprachevarianten kommen vor:
- [roːt]
- [ʀoːt]
Allerdings ist es fraglich, ob die Wahl zwischen diesen Lauten wirklich so frei ist, weil die jeweilige Aussprache dialektabhängig ist.
Einfluss von Dialekten und Sprechstil
Man entscheidet sich je nach Dialekt für eine Variante: [roːt] kommt in süddeutschen Dialekten vor und [ʀoːt] in vielen Dialekten im Norden.
Wenn es innerhalb einer Sprache freie Variationen gibt, dann spielen oft noch andere Faktoren eine Rolle, die die Aussprachevariante erklären, z. B. Sprechstil oder Sprechgeschwindigkeit. Soziolinguisten stellen also freie Variation infrage und sind der Meinung, dass es das gar nicht gibt.
FAQ zu Allophonen
Was sind Allophone einfach erklärt?
Allophone sind verschiedene Laute, die dasselbe Phonem darstellen – ohne die Wortbedeutung zu verändern.
Wie erkennt man Allophone?
Durch Analyse von Minimalpaaren, phonetischer Nähe und komplementärer Distribution.
Was ist der Unterschied zwischen Phonem und Allophon?
Phoneme unterscheiden Bedeutungen, Allophone nicht. Allophone sind nur verschiedene Realisierungen desselben Phonems.
Gibt es Allophone in allen Sprachen?
Ja, aber welche Laute Allophone sind, ist sprachspezifisch.
Warum sind Allophone wichtig in der Linguistik?
Sie helfen zu verstehen, wie das System einer Sprache aufgebaut ist.
Sind alle Allophone gleichwertig?
Nicht immer. Gesellschaftliche und regionale Normen können bestimmte Varianten bevorzugen.
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Der Unterschied zwischen Sprache und Dialekt
Was als Sprache gilt und was als Dialekt angesehen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören Staatlichkeit, Wirtschaft, literarische Traditionen und das Schriftsystem.
Quellen
Eisenberg, P. (2009). Das Phonem und Graphem. In: Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Die Grammatik (8. überarbeitete Aufl., S. 19 – 56). Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag.
Methling, R. (2024). Germanistische Linguistik für Dummies. Wiley-VCH.
Spillmann, H. O. (2000): Einführung in die germanistische Linguistik. Langenscheidt.
Šileikaitė-kaishauri, D. (2015). Einführung in die Phonetik und Phonologie des Deutschen.
Hall, T. (2000). Alan: Phonologie. Eine Einführung.