Ein Wort ist polysem, wenn es mehrere Bedeutungen hat, die miteinander verbunden sind.
Beispiel
Das Wort „laufen“ ist ein Polysem. Es bedeutet nicht immer „zu Fuß gehen“, sondern auch ein Film kann „laufen“ oder man erkundigt sich bei jemandem „wie es läuft“. All diese Bedeutungen von „laufen“ haben aber gemeinsam, dass sie eine Fortbewegung (räumlich oder zeitlich) beschreiben.
Sprachwissenschaftlich ausgedrückt handelt es sich um Polysemie, wenn ein Signifikant zwei oder mehrere Signifikate aufruft, beide Signifikate aber vom Sprecher als zusammengehörig empfunden werden. Es handelt sich dann um ein polysemes Wort. Oder anders formuliert: Ein Wort hat mehrere miteinander in Verbindung stehende Bedeutungen.
Nehmen wir zum Beispiel das Wort „trocken“. Es hat definitiv nicht nur eine Bedeutung. Ein trockener Boden ist etwas völlig anderes als ein trockener Wein oder trockener Humor. Das Signifikant ist also mehrdeutig, kann in vielen völlig verschiedenen Kontexten stehen. Wichtig ist bei der Polysemie, dass die unterschiedlichen Bedeutungen gefühlsmäßig dennoch etwas miteinander zu tun haben. Mit „trocken“ wird in allen Kontexten (trockener Boden, trockener Wein, trockener Humor) etwas Vergleichbares ausgedrückt.
Nicht polysem, sondern homonym
Zum Polysem „trocken“ nun direkt ein Gegenbeispiel: Das Wort „Ball“ ruft mindestens zwei Signifikate, also mindestens zwei Bedeutungen hervor: der runde Gegenstand zum Spielen und der „Ball“ als große Tanzveranstaltung. Das Signifikant „Ball“ ist in diesem Fall also mehrdeutig, aber es handelt sich um zwei Bedeutungen, die nichts miteinander zu tun haben. Es handelt sich darum nicht um Polysemie, sondern um Homonymie.
In meinem Beitrag „Was sind Synonyme“ habe ich erklärt, was die Extension eines Begriffes ist. Diesen Fachbegriff können wir auch hier anwenden und sagen, dass bei der Polysemie das Signifikat eines Zeichens eine extreme Ausweitung des extensionalen Aspekts vorweist. Das bedeutet im Grunde nur, dass ein Wort mehrere Bedeutungen hat.
Warum gibt es Polysemie?
Polysemie ist etwas Gutes und Wichtiges! Denn sie kommt der Sprachökonomie zugute, weil an Formen gespart wird, man sich aber trotzdem noch sehr nuanciert ausdrücken kann. Nehmen wir noch mal unser Beispielwort „trocken“. Stell dir vor, das Wort „trocken“ kann nur in Kontexten stehen, die das Gegenteil von Nässe bedeuten. Dann könnte man nicht von einem „trockenen Wein“ sprechen, sondern bräuchte für diesen Kontext ein neues Wort. „Trockener Humor“ wäre dann auch keine korrekte Konstruktion, wieder ein neues Wort. Unser Wortschatz würde sich direkt vielleicht um das 5, 10 oder vielleicht sogar 20-fache vergrößern, wenn es nicht die Polysemie gäbe.
In Fachsprachen kann man das sehr deutlich sehen. In der Medizin kann man es sich nicht leisten, viele polyseme Wörter zu verwenden, da es zu Missverständnissen kommen könnte. Genauso ist es auch in der juristischen Fachsprache. Dort wird versucht, immer eine 1:1-Relation von Signifikant und Signifikat herzustellen. Die Anzahl der Wörter in Fachsprachen ist dadurch riesig, allein in der Medizin gibt es etwa 170.000 Wörter, keiner beherrscht sie auch nur annähernd aus dem Kopf.
Zusammenfassung
Ein Wort ist polysem, wenn es mehrere Bedeutungen hat, die aber trotzdem alle eine semantische Nähe haben. Dadurch sorgen die Polyseme in Sprachen für Biegsamkeit, Geschmeidigkeit und Beweglichkeit des Wortschatzes.
Quellen
Hentschel, E. (2010). Konnotation. In E. Hentschel (Hrsg.), Deutsche Grammatik. Walter de Gruyter.
Spillmann, H. O. (2000): Einführung in die germanistische Linguistik. Langenscheidt.