Syntaxbäume

Eine Strömung innerhalb der Linguistik ist der amerikanische Strukturalismus. Im Strukturalismus wurde die Phrasenstrukturgrammatik entwickelt, auf der heutzutage viele weitere Modelle aufbauen. In diesem Beitrag zeige ich dir, wie man Syntaxbäume in der Phrasenstrukturgrammatik erstellt.

Lernvideo: Was sind Syntaxbäume?

Aber zuerst noch eine Randbemerkung. Innerhalb der Linguistik gibt es verschiedene Herangehensweisen, um syntaktische Strukturen zu beschreiben. Klar, es gibt nicht das eine wissenschaftliche Modell, das es schafft, alle syntaktischen Strukturen einer Sprache widerspruchsfrei und zusammenhängend darzustellen. Eine in sich absolut schlüssige Syntaxtheorie gibt es bis heute nicht. Mit der Phrasenstrukturgrammatik kommt man allerdings schon sehr weit.

Wir sehen uns dazu vor allem einen Begriff näher an, nämlich „Konstituente“.  Mit dem Wissen zeige ich dir dann, wie man einen Syntaxbaum erstellt. Was du bereits wissen solltest, ist, was Phrasen sind. Ich habe ein Video erstellt, in dem ich kurz auf die Frage „Was ist eine Phrase?“ eingehe.

In der Phrasenstrukturgrammatik, die man auch „Konstituentenstrukturgrammatik“ nennt, geht man vom Satz als größte Einheit aus und fängt auch von dort aus an, den Satz zu analysieren, indem man ihn in immer kleinere Einheiten teilt. Diese geteilten Einheiten nennt man „Konstituenten“. Ich möchte mir mit dir einmal genauer ansehen, was eine solche Konstituente eigentlich genau ist.

Wenn wir einen Satz lesen wie „Mein Hobby ist das Erstellen von YouTube-Videos“, dann haben wir vielleicht zunächst den Eindruck, als wären das einzelne Wörter, die aneinandergereiht einen Satz ergeben. Dass es isolierte Einheiten wären, die man wahlweise auch ersetzen könnte. Du merkst schon, ich verwende den Konjunktiv, denn das ist nicht wahr. Es fällt nämlich auf, dass man die Wörter nicht beliebig hin- und herschieben kann. Wir können den Satz umstellen und folgenden Satz bilden: „Das Erstellen von YouTube-Videos ist mein Hobby“. Den Teil „das Erstellen von YouTube-Videos“ kann man also als ganzes verschieben, aber zum Beispiel nicht „Erstellen von ist mein Hobby das YouTube-Videos“. Bestimmte Wörter sind also eng miteinander verbunden und müssen gemeinsam verschoben werden. Das ist der erste Hinweis darauf, dass es eben keine isolierten Wörter sind.

Der zweite Hinweis, dass Wörter nicht isoliert stehen, ist, dass bestimmte Wörter Einfluss auf andere Wörter haben. Wenn man das Possessivpronomen „mein“ aus dem Beispielsatz in den Plural setzt, dann muss sich auch das Substantiv „Hobby“ in seiner Form anpassen „Meine Hobbys“. Und nicht nur das, sondern auch das Verb „ist“ passt sich an zu „sind“. Du siehst, die Wörter stehen definitiv nicht isoliert im Satz, sondern sind miteinander verwebt.

Fangen wir mal an und teilen „Mein Hobby ist das Erstellen von YouTube-Videos“ in sieben Teile. Diese sieben Teile, die jetzt in eckigen Klammern stehen, sind sieben Konstituenten.

[Mein] [Hobby] [ist] [das] [Erstellen] [von] [YouTube-Videos]

Einige davon gehören enger zusammen als andere. Zum Beispiel: [Mein Hobby] und [das Erstellen], aber auch [von YouTube-Videos]. Auch das sind Konstituenten.

[[Mein] [Hobby]] [ist] [[das] [Erstellen]] [[von] [YouTube-Videos]]

Und auch aus diesen Konstituenten können wir größere Konstituenten bilden, wie [das Erstellen von YouTube-Videos].

[[Mein] [Hobby]] [ist] [[[das] [Erstellen]] [[von] [YouTube-Videos]]]

Du siehst, mit Konstituenten sind alle Einheiten gemeint, die Teile einer größeren Einheit sind. Sowohl die einzelnen Wörter, die durch Leerzeichen voneinander getrennt werden, sind Konstituenten, als auch die übergeordneten Bausteine.

Der Begriff „Konstituente“ ist ein Oberbegriff, den man weiter aufsplitten kann in Unterbegriffe wie „Phrase“ oder „Wort“. Beide Begriffe kennst du bereits.

Die Einheiten, die geteilt werden, nennt man „Konstitute“, die aber wiederum Konstituenten eines übergeordneten Konstituts sein können. Das Teilen des Satzes in Konstituenten ist dann beendet, wenn die letzte Ebene erreicht ist, die man nicht mehr weiter teilen kann. Man arbeitet so zusagen, von oben nach unten. Die Konstituenten auf dieser letzten Ebene nennt man „terminale Konstituenten“.

Konstituenten, die durch Teilung unmittelbar aus einem Konstitut hervorgehen, sind die unmittelbaren Konstituenten dieses Konstituts. Man nennt sie auch „immediate constituents“, kurz ICs. Nach genau dieser Bezeichnung, IC, hat das gesamte Verfahren, um einen Satz zu analysieren, seinen Namen bekommen: die „Immediate Constituents Analysis“, zu Deutsch: IC-Analyse. Die Beziehung zwischen unmittelbaren Konstituenten nennt man „Konstruktion“.

Wie ich schon am Anfang gesagt habe, ist der Satz die größte Einheit und ist somit keine Konstituente, sondern immer Konstitut. Andererseits sind terminale Konstituenten immer Konstituenten und nie Konstitute, da sie eben nicht mehr weiter geteilt werden können.

In der IC-Analyse geht man davon aus, dass ein Satz immer zweigeteilt werden kann. In die Subjektsphäre und die Prädikatsphäre. Man kann das in Form eines Baumgraphen darstellen. Nehmen wir den Satz „Der Schauspieler sieht das Publikum“. Dieses Konstitut unterteilen wir in seine unmittelbaren Konstituenten, also die ICs: „Der Schauspieler“ und „sieht das Publikum“.

Nun teilen wir die Konstitute weiter auf. „Der Schauspieler“ wird in „der“ und „Schauspieler“ geteilt, die auch schon die letzten, also terminalen Konstitute sein können. Warum können? Sind es nicht die terminalen Konstitute? Man könnte sie theoretisch noch weiter einteilen in Morpheme oder sogar Phoneme, aber das ist nicht unser Ziel. Die Wortebene reicht in unserem Fall aus.

Baumgraph „Der Schauspieler sieht das Publikum.“

Die Konstruktion zwischen den ICs „sieht“ und „das Publikum“, also die Beziehung zwischen diesen beiden unmittelbaren Konstituenten, nennt man in der traditionellen Grammatik z. B. „Prädikat-Akkusativobjekt-Relation“. Zwischen „Schauspieler“ und „das Publikum“ besteht keine direkte Verbindung, da es sich auch nicht um unmittelbare Konstituenten eines Konstituts handelt. Eine Gemeinsamkeit haben sie aber, sie sind beide in einem Satz eingebettet.

Die jeweiligen Konstituenten werden an den Verzweigungs- bzw. Endstellen der Äste in dem Baumgraphen, die man „Knoten“ nennt, durch die Angabe der Distributionsklasse gekennzeichnet. Die Äste bilden die jeweiligen syntaktischen Funktionen ab.

Die wichtigsten Distributionsklassen sind:

S (für Satz), NP für Nominalphrase, VP für Verbalphrase, PP Präpositionalphrase, VERB für Verb, N für Substantiv, ADJ Adjektiv, ADV Adverb, PRÄP Präposition, ART Artikel, PRON Pronomen.

Wenn man jetzt jeden Knoten durch die passende Distributionsklasse ersetzt, entsteht folgender Baumgraph:

Baumgraph „Der Schauspieler sieht das Publikum“ mit Distributionsklassen

Den Satz ersetzen wir durch die distributionelle Konstituentenbezeichnung S. „Der Schauspieler“ ist eine NP, die als terminale Konstituenten einen Artikel und ein Substantiv enthält. Die Verbalphrase enthält das Verb „sieht“ als unmittelbare Konstituente und eine NP im Akkusativ, die wiederum als terminale Konstituente einen Artikel und ein Substantiv enthält.

Nach diesem Baumgraphen können jetzt auch Sätze mit der gleichen syntaktischen Struktur gebildet werden. Wie zum Beispiel: „Die Friseurin trocknet die Haare“ oder „Der Schüler lernt den Stoff“. Aber die Struktur: „Die Tüte liegt auf der Lichtung“ wird mit einer anderen Struktur abgebildet.

Baumgraph „Die Tüte liegt auf der Lichtung.“

An oberster Stelle steht natürlich wieder der Satz, der sich in eine NP und eine VP gliedert. Die NP besteht aus einem Artikel und einem Substantiv „Die Tüte“. Die VP gliedert sich in die Konstituenten „liegt“ und „auf der Lichtung“. Bei „auf der Lichtung“ handelt es sich nicht um eine Nominalphrase, sondern um eine Präpositionalphrase mit den unmittelbaren Konstituenten „auf“ und „der Lichtung“. „Der Lichtung“ wiederum ist eine Nominalphrase mit den terminalen Konstituenten „der“, (Artikel) und „Lichtung“ (Substantiv).

Besonders praktisch sind Baumgraphen, wenn es um mehrdeutige Strukturen geht. Man sagt dann, dass eine Struktur zwei Lesarten hat oder, dass sie ambig ist.

Sehen wir uns diesen Satz einmal an: „Die Polizei verfolgt den Jugendlichen mit dem Elektroroller.“ Die Frage ist nun, ob die Polizei einen Elektroroller hat und den Jugendlichen damit verfolgt, oder ob die Polizei den Jugendlichen verfolgt, der auf einem Elektroroller flüchtet. Baumgraphen eignen sich besonders gut, um diesen Bedeutungsunterschied syntaktisch darzustellen.

Wenn der Elektroroller zu dem flüchtenden Jugendlichen gehört, dann sind die unmittelbaren Konstituenten der Verbalphrase „verfolgt“ und „den Jugendlichen mit dem Elektroroller“. Wenn allerdings der Elektroroller zur Polizei gehört, dann enthält das Konstitut VP drei Konstituenten: „verfolgt“, „den Jugendlichen“ und die Konstituente „mit dem Elektroroller“. „Mit dem Elektroroller“ wird damit als selbständiges Satzglied aufgefasst.

Über den Autor
Über den Autor

Ralf Methling ist Dozent für Germanistische Linguistik und Fremdsprachendidaktik in den Niederlanden. Als freiberuflicher Content Creator und Autor schreibt er über Themen aus der Sprachwissenschaft.

Quellen

Hentschel, E. (2010). Phrasenstrukturgrammatik. In E. Hentschel (Hrsg.), Deutsche Grammatik. Walter de Gruyter.

Spillmann, H. O. (2000): Einführung in die germanistische Linguistik. Langenscheidt.

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