Geschlechtswort im Deutschen: Missverständnisse, Genus und die wahre Funktion

Einführung: Was bedeutet eigentlich „Geschlechtswort“?

Viele Deutschlernende hören schon in den ersten Unterrichtsstunden von einem „Geschlechtswort“. Gemeint sind damit die Artikel der, die, das, die angeblich das Geschlecht eines Nomens anzeigen. Diese Erklärung wirkt auf den ersten Blick plausibel – aber sie ist grammatisch irreführend.

Die Wahrheit: Im Deutschen gibt es nicht wirklich ein „Geschlechtswort“. Was Lehrer oft meinen, ist das Genus – eine grammatische Kategorie, die nur sehr indirekt etwas mit dem biologischen Geschlecht zu tun hat.

Genus vs. Geschlecht: Wo liegt der Unterschied?

Das grammatische Genus im Deutschen kennt drei Kategorien:

  • Maskulinum (z. B. der Tisch)
  • Femininum (z. B. die Lampe)
  • Neutrum (z. B. das Auto)

Aber: Das Genus eines Wortes sagt nichts über das biologische Geschlecht aus.
Beispiele:

  • Der Sessel (maskulin), die Couch (feminin), das Sofa (neutrum) – alles Möbel, ohne „Geschlecht“.
  • Der Dill, die Kresse, das Salz – Kräuter und Gewürze, ebenfalls ohne biologischen Bezug.

Die sprachliche Kategorie Genus dient also nicht dazu, ein Geschlecht zu zeigen, sondern ist ein grammatisches Ordnungssystem, das häufig historisch gewachsen ist.

Sobald Substantive Lebewesen bezeichnen, kommt ein weiteres Konzept ins Spiel: das natürliche Geschlecht. Meist stimmen grammatisches und natürliches Geschlecht überein – die Frau, der Mann, die Hündin, der Ochse. Aber weil eben mit dem grammatischen Geschlecht nicht das natürliche Geschlecht gemeint ist, kann es auch Abweichungen geben: das Mädchen.

Tiere: Der grammatische Artikel und das natürliche Geschlecht

Der Löwe, die Schlange, das Meerschweinchen sind Oberbegriffe, die geschlechtsneutral verwendet werden. Will man das biologische Geschlecht betonen, geschieht dies oft über Wortbildung:

  • die Löwin (feminin),
  • das Schlangenmännchen (neutrum),
  • der Meerschweinchenbock (maskulin).

Doch eine besondere Ausnahme sticht hervor: die Drohne.

Grammatisch feminin – aber sie bezeichnet männliche Bienen. Des Rätsels Lösung: Ursprünglich hieß es der Drohn. Das Wort stammt von dröhnen und bezieht sich auf das Flügelsummen. In Analogie zu die Biene bürgerte sich jedoch die feminine Form die Drohne ein, ergänzt um das weibliche Suffix -e, sodass Form und Genus „stimmig“ wirken.

Zusätzlich erhielt das Wort eine übertragene Bedeutung: „Nichtstuer, Nutznießer fremder Arbeit“ – und in jüngerer Zeit: ferngesteuertes Fluggerät.

Diese Entwicklung zeigt eindrucksvoll: Das Genus ist historisch gewachsen und nur bedingt logisch.

Warum „der, die, das“ kein echtes Geschlechtswort ist

Die Artikel der, die, das zeigen das Genus des Substantivs an, aber das ist nicht ihre Hauptaufgabe.
Ihre eigentliche Funktion liegt in der Bestimmtheit:

  • Ein Mensch trat ein. (unbestimmt, neu für den Hörer)
  • Der Mensch trat ein. (bestimmt, bekannt oder bereits erwähnt)

Damit helfen Artikel, Informationen im Gespräch zu strukturieren. Das Anzeigen des Genus ist dabei nur eine Nebenfunktion, die auch andere Wortarten wie Adjektive oder Pronomen übernehmen.

Genus in anderen Sprachen: Ein Vergleich

Interessant: Viele Sprachen haben ein Genus-System, aber keine Artikel – z. B. Russisch oder Latein. Dennoch erkennen Muttersprachler problemlos das Genus ihrer Substantive, weil andere Wörter im Satz (z. B. Adjektive, Pronomen) dieses anzeigen.

Schon die alten Römer verwendeten Demonstrativpronomen wie ille, illa, illud, um Genus und Bestimmtheit zu markieren – eine ähnliche Funktion, wie wir sie heute bei Artikeln sehen.

Warum die Rede von „Geschlechtswort“ für Lernende problematisch ist

Für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, führt der Begriff „Geschlechtswort“ oft zu Missverständnissen. Sie glauben, es gehe beim Erlernen von Artikeln um biologische Geschlechter, was die Sache zusätzlich verkompliziert.

Präzise Terminologie – also von Genus statt „Geschlecht“ zu sprechen – kann Lernenden helfen, die Struktur des Deutschen besser zu verstehen.

Fazit: Genus verstehen statt Geschlechtswort lernen

Das Geschlechtswort ist ein überholter Begriff, der mehr verwirrt als erklärt. Wer Deutsch lernen will, sollte verstehen:

  • Artikel sind vor allem Kommunikationswerkzeuge (definit vs. indefinit).
  • Genus ist ein grammatisches Ordnungsmerkmal, nicht biologisches Geschlecht.
  • Andere Wortarten (Adjektive, Pronomen) können genauso gut das Genus anzeigen.

Ein besseres Sprachverständnis entsteht, wenn wir präzise Begriffe verwenden – und den Mythos vom „Geschlechtswort“ endgültig ablegen.

Quellen

Dudenredaktion. (o. J.). Die Drohne und ihr grammatisches Geschlecht. Abgerufen am 2. August 2025 von https://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/Die-Drohne-und-ihr-grammatisches-Geschlecht

Lehmann, C. (o. J.). Das Geschlechtswort und unsere Deutschlehrer. Abgerufen am 2. August 2025 von https://www.christianlehmann.eu/privat/index.php?open=geschlechtswort.inc

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