Hast du dich jemals gefragt, welche Geschichten die Menschen in Germanien erzählten, lange bevor das Nibelungenlied überhaupt auf der Bühne erschien? Nationen und Völker überliefern seit jeher Sagen und Mythen aus einem heroischen Zeitalter. Denk nur an Homers Ilias oder eben unser Nibelungenlied. Heute tauche ich mit dir in eines der ältesten Zeugnisse germanischer Heldendichtung ein: das Hildebrandslied.
Was ist das Hildebrandslied eigentlich?
Das Hildebrandslied ist in vielerlei Hinsicht ein absolutes Unikat und damit besonders. Es zählt zu den frühesten poetischen Textzeugnissen, die wir kennen, und ist tatsächlich das älteste überlieferte germanische Heldenlied der deutschen Literaturgeschichte. Stell dir vor, dieses Werk wurde wahrscheinlich schon zwischen den Jahren 840 und 850 nach Christus niedergeschrieben – von zwei Schreibern, die es in eine religiöse Handschrift des Klosters Fulda eintrugen. Der Konvent in Fulda war damals übrigens eines der größten und wichtigsten intellektuellen Zentren.
Leider ist die Handschrift nicht im besten Zustand. Es ist sogar ein trauriges Detail, dass nach dem Zweiten Weltkrieg ein ganzes Pergamentblatt verloren ging. Trotzdem ist es ein Wunder, dass dieses Zeugnis überhaupt bis heute erhalten ist!
Die packende Handlung des Hildebrandslieds
Das Hildebrandslied erzählt die herzzerreißende Geschichte zweier Kämpfer: Hildebrand und Hadubrand. Sie stehen sich auf dem Schlachtfeld gegenüber, jeder in einem anderen Heer, und treffen die letzten Vorbereitungen für den Kampf. Stell dir die Spannung vor!
Ein Wiedersehen der besonderen Art
Hildebrand, der Ältere, fragt seinen Gegner, wer er sei. Und Hadubrand nennt seinen Namen – und den seines Vaters. Dieser Vater heißt… ja, du ahnst es, auch Hildebrand! Hadubrand erzählt dann, wie sein Vater vor langer Zeit mit Dietrich von Bern (historisch als Ostgotenherrscher Theoderich der Große bekannt) und einigen Kriegern ins Exil gehen musste, um sich vor Otaker (König Odoaker) zu schützen. Hier siehst du, wie das Lied Sagenfiguren und historische Persönlichkeiten der Völkerwanderungszeit kunstvoll miteinander verbindet, auch wenn die historischen Hintergründe im Lied manchmal etwas verdreht und kompliziert dargestellt werden.
Hadubrand selbst sei als Kind zurückgeblieben und somit erblos geworden, weil sein Vater so früh ging. Er ist überzeugt, dass sein Vater, obwohl er in vielen Kämpfen seine Tapferkeit bewiesen hat, wahrscheinlich nicht mehr am Leben ist.
Ein tragisches Vater-Sohn-Duell
Als Hildebrand erkennt, dass er seinem Sohn gegenübersteht, entgegnet er Hadubrand, dass dieser vor seinem nächsten Verwandten stünde. Er versucht, ihm kostbare goldene Ringe als Zeichen der Huld zu überreichen. Doch Hadubrand weist das Geschenk vehement zurück und bezeichnet es als List. Er beschimpft seinen Vater sogar als „alten Hunnen“ und beteuert weiterhin, dieser sei tot.
Hildebrand beklagt daraufhin sein Schicksal: 30 Jahre war er fort, konnte sein Leben immer verteidigen, und nun soll er entweder von seinem eigenen Sohn erschlagen werden oder ihn selbst niederstrecken müssen. Ein wirklich herzzerreißendes Dilemma, oder? Schließlich provoziert Hildebrand den jungen Hadubrand, doch zu versuchen, einem so alten Krieger die Rüstung abzunehmen. Die beiden beginnen den Kampf: zuerst mit Speeren, dann mit Schwertern, mit denen sie ihre Schilde vollkommen zerhauen.
Das offene Ende des Hildebrandslieds
Und genau an dieser spannenden Stelle bricht der Text leider ab! Nur die ersten 68 Verse sind erhalten, das Ende des Hildebrandslieds ist nicht überliefert. Wie der Kampf ausgeht, bleibt also offen.
In anderen Erzählungen, die die Hildebrandssage aufgreifen, gibt es verschiedene Ausgänge: Entweder tötet der Vater seinen Sohn, oder es kommt zu einer friedlichen Versöhnung. Wahrscheinlich ist jedoch, dass im ursprünglichen Lied der Sohn erschlagen wird. Denn die Sage, wie auch die Dietrichssage, thematisiert die Problematik des Kampfes und den hohen Preis des Sieges – den tragischen Verlust eigener Verwandter im Kampf. Eine düstere, aber kraftvolle Botschaft!
Ein Blick auf die einzigartige Sprache und Schrift
Als Sprachliebhaber ist das für mich ein absolutes Highlight: Die Sprache und Schrift des Hildebrandslieds sind faszinierend eigenartig!
Sprachliche Besonderheiten
Das Hildebrandslied weist ein auffälliges Nebeneinander von althochdeutscher und altsächsischer Sprache auf. Man vermutet, dass diese Mischung auf eine hochdeutsche Vorlage zurückzuführen ist, die dann von jemandem ins Altsächsische übertragen wurde, der diese Sprache nicht wirklich gut beherrschte. Das Ergebnis ist ein Text, der zwischen althochdeutschen und altsächsischen Formen schwankt. Ein gutes Beispiel ist der Wechsel zwischen „ih“ (althochdeutsch) und „ik“ (altsächsisch) für „ich“. Es gibt auch einige falsche Übertragungen, wie „heittu“, was wohl direkt von der althochdeutschen Form „heizzu“ kommt, aber im Altsächsischen eigentlich „hētu“ lauten müsste – das entspricht unserem heutigen „ich heiße“.
Schriftmerkmale im Hildebrandslied
Der angelsächsische Einschlag zeigt sich nicht nur in der Sprache, sondern auch an der Schrift. Obwohl sie größtenteils auf der karolingischen Minuskel basiert, finden sich Merkmale der angelsächsischen insularen Schrift. Zum Beispiel die Verwendung des Wyn-Zeichens (ᚹ), das für den Laut „w“ steht und auf die Wunjō-Rune zurückgeht. In manchen Klosterskriptorien, wie eben in Fulda, wo das Hildebrandslied abgeschrieben wurde, wurde die karolingische Minuskel durch insulare Merkmale beeinflusst. Das hängt mit den irischen und angelsächsischen Missionaren zusammen, die zu dieser Zeit aktiv waren. Da siehst du mal, wie verschiedene Kulturen und Sprachen aufeinandertreffen können und ihre Spuren hinterlassen!
Was der Name Hildebrand mit Hitler zu tun hat
Mal ehrlich, kennst du jemanden, der heute noch Hildebrand heißt? Wenn du dir die aktuellen Top-Namen für Neugeborene ansiehst, wirst du diesen Namen nicht finden. Aktuell sind Sophia, Noah, Emilia und Mettheo die beliebtesten Vornamen. Dabei ist Hildebrand uralt und birgt eine faszinierende Geschichte. Aber was verbirgt sich hinter dem Namen Hildebrand eigentlich genau?
Ein Name mit Geschichte: Hildebrand in Legenden
Dem Namen Hildebrand begegnest du nicht nur im berühmten Hildebrandslied, sondern auch in dem noch bekannteren Nibelungenlied. Hier tauchen wir in eine wirklich alte Welt ein, nämlich die der Völkerwanderungszeit. Diese Epoche fand schon viele hundert Jahre vor der Niederschrift des Nibelungenlieds im 13. Jahrhundert auf Mittelhochdeutsch statt.
Im Nibelungenlied, das im 19. und 20. Jahrhundert oft als deutsches Nationalepos gefeiert wurde, spielt Hildebrand eine wichtige Rolle. Er wird als meisterhafter Kämpfer beschrieben, der genau weiß, wie man mit einem Schwert umgeht. Das gibt uns doch schon einen ziemlich deutlichen Hinweis, in welche Richtung die Bedeutung des Namens gehen könnte.

Die sprachwissenschaftliche Lupe: Hilde
Um wirklich zu verstehen, was sich hinter dem Namen Hildebrand verbirgt, müssen wir ihn wie ein Puzzle in seine Einzelteile zerlegen: Hilde und Brand. Fangen wir mit Hilde an. Im Deutschen ist dieser Bestandteil abseits von Namen schon seit dem Althochdeutschen kaum noch gebräuchlich. Abgesehen vom Hildebrandslied, das ja selbst viel althochdeutsches Vokabular enthält, taucht das Wort kaum auf.
Aber keine Sorge, wir Sprachwissenschaftler finden Spuren! Die Wurzel liegt im althochdeutschen Wort Hilter. Du findest diesen Wortstamm auch in anderen germanischen Sprachen: im Altenglischen als Hild und im Altnordischen als Hildr. Und die Bedeutung? Ganz klar: Kampf.
Hilde: Ein vielseitiger Kampf-Vorsatz
Besonders im Altenglischen gab es viele poetische Verbindungen mit Hild. Denk mal an Hildewolf – das bedeutet wörtlich Kriegswolf und wurde als Umschreibung für einen tapferen Krieger verwendet. Siehst du, wie Sprache uns hier ganz alte Bilder malt?
Und was ist mit Brand? Die zweite Hälfte des Namens
Jetzt wird es richtig spannend mit dem zweiten Namensbestandteil: Brand. Auch dieser führt uns ins Althochdeutsche zurück. Und wie bei Hilde finden wir auch hier Verwandte im Altenglischen (Brande) und Altnordischen (Brandr). Zuerst denkt man vielleicht an etwas Brennendes, oder an das, womit man ein Feuer entfacht.

Aber da steckt noch mehr dahinter! Im Altenglischen konnte Brand auch eine Fackel – also brennendes Holz – oder sogar ein Schwert bezeichnen. Im Altnordischen konnte es ebenfalls ein Schwert bedeuten. Interessanterweise konnte es sich dort sogar auf bestimmte dekorative Elemente am Vorderteil eines Schiffes beziehen. Aber für unseren Namen Hildebrand ist die Schwert- oder Brennen-Bedeutung am wahrscheinlichsten.
Was verbirgt sich hinter dem Namen Hildebrand: Die wahre Bedeutung
Wenn wir nun die beiden Teile zusammenfügen, bekommen wir ein klares Bild. Hildebrand bedeutet wahrscheinlich so viel wie ‚Kampf‘ (Hilde) und ‚brennend‘ oder ‚Schwert‘ (Brand). Stell dir vor: Vielleicht war damit ein ‚brennendes Schwert‘ gemeint oder sogar eine ‚Brandwaffe‘ im übertragenen Sinne.
Im Kern steht der Name also für jemanden, der einen Kampf mit einem Schwert, oder vielleicht sogar mit einem flammenden, brennenden Schwert, austrägt. Ein Name, der Stärke, Kampfbereitschaft und vielleicht sogar eine gewisse Leuchtkraft ausdrückt.
Auch wenn der Vorname Hildebrand heute selten geworden ist, lebt er als Nachname weiter und erinnert uns an eine Zeit, in der Namen Geschichten erzählten und tiefe Bedeutungen trugen. Es ist doch faszinierend, wie viel Geschichte und Bedeutung sich hinter dem Namen Hildebrand verbirgt, findest du nicht?
Fazit
Ich hoffe, dieser kleine Einblick in das Hildebrandslied und den Namen Hildebrand hat dich gefesselt und dir gezeigt, welch faszinierendes und komplexes Zeugnis unserer Sprach- und Literaturgeschichte es ist. Es ist nicht nur ein Stück Poesie, sondern auch ein Fenster in die Denkweise und die Konflikte der germanischen Völkerwanderungszeit. Wenn du dich für althochdeutsche Literatur interessierst, kann ich dir nur empfehlen, weiter in diese spannende Materie einzutauchen!
Quellen
- Gesellschaft für deutsche Sprache. (n.d.). Die beliebtesten Vornamen. Retrieved August 10, 2025, from https://gfds.de/vornamen/beliebteste-vornamen/
- umbigrabanti. (2025, 29. March). Das Hildebrandslied – germanische Heldendichtung
- umbigrabanti. (2025, 9. August). Was verbirgt sich hinter dem Namen „Hildebrand“? [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=ljscQq44NFI