Der Unterschied zwischen Sprache und Dialekt

Was als Sprache zählt und was „nur“ als Dialekt, wird beeinflusst durch Staatlichkeit, Wirtschaft, literarische Traditionen und das Schriftsystem und Zeichen von Macht, Autorität und Kultur. Aber diese Einflüsse sind für Linguisten irrelevant. Was ist ein Dialekt in der Linguistik?

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Eine so einfache Frage und doch steckt einiges dahinter. Der Unterschied zwischen Sprache und Dialekt. Dir ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass man sich auf sehr dünnem Eis bewegt, wenn man diese Frage angeht, da es mehr eine soziale und politische Angelegenheit ist, als ein linguistische.

„A language is a dialect with an army and a navy“ (Max Weinreich). Er bezieht sich hiermit auf Jiddisch, das sehr lange als Dialekt galt, weil es nicht mit einem politischen Gebilde identifiziert werden konnte. Was als Sprache zählt und was „nur“ als Dialekt, wird beeinflusst durch Staatlichkeit, Wirtschaft, literarische Traditionen und das Schriftsystem und Zeichen von Macht, Autorität und Kultur. Aber diese Einflüsse sind für Linguisten irrelevant.

Sehen wir uns ein paar Beispiele an, die zeigen, dass die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt eindeutig mit diesen Faktoren zusammenhängt:

Zum Beispiel chinesische Dialekte wie Kantonesisch, Hakka, Shanghainesisch usw. unterscheiden sich genauso stark voneinander (und auch von der dominanten Sprache Mandarin) wie auch romanische Sprachen: Französisch, Spanisch, Italienisch und Rumänisch. Dass die europäischen Sprachen den Status „Sprache“ haben, rührt von ihrer Verbindung mit einer einzelnen Nation, einem geteilten Schreibsystem und von einer bestimmten Regierungspolitik. Wenn aber Kantonesisch, Hakka und Shanghainesisch als Dialekt betrachtet werden, dann müsste man eigentlich aus linguistischer Sicht auch Spanisch, Italienisch und Rumänisch als z. B. französische Dialekte einstufen. Dass man das nicht tut, hat überwiegend politische und wirtschaftliche Gründe.

Im Gegensatz dazu sind Hindi und Urdu eigentlich die gleichen Sprachen, früher auch „Hindustani“ genannt, aber sie sind mit unterschiedlichen Ländern verknüpft (Indien und Pakistan) und haben ein anderes Schriftsystem und unterschiedliche religiöse Auffassungen. Obwohl es natürlich sprachliche Variationen gibt im Gebrauch von Hindi und Urdu in Indien und Pakistan, sind die Unterschiede klein, viel kleiner als der Unterschied zwischen Mandarin und Kantonesisch zum Beispiel. Trotzdem spricht man von Hindi und Urdu. Der Unterschied zwischen Bairisch und Deutsch ist viel größer, trotzdem sagt man, dass Bairisch ein Dialekt ist. Und auch hier wieder: Es sind vor allem politische und wirtschaftliche Gründe.

Und ich will noch ein viel extremeres Beispiel zeigen: Sehen wir uns das frühere Serbokroatisch an, das fast im ganzen Gebiet des früheren Jugoslawien gesprochen wurde und als eine Sprache eingestuft wurde, mit verschiedenen Dialekten und Schriftsystemen. In diesem Gebiet verwendeten die Serben (überwiegend orthodox) das kyrillische Alphabet, während die Kroaten (überwiegend römisch-katholisch) das lateinische Alphabet verwendeten. In einer Periode von nur ein paar Jahren nach der Auflösung von Jugoslawien als eine politische Einheit entstanden drei neue Sprachen: Serbisch, Kroatisch und Bosnisch, obwohl sich die linguistische Grundlage dieser Sprachen nicht geändert hat.

Klar sollte an dieser Stelle sein, wie groß der politische Einfluss auf die Begriffe „Sprache“ und „Dialekt“ ist. Die Linguistik als Wissenschaft möchte aber ein neutrales Urteil über den Unterschied zwischen Sprache und Dialekt fällen können und setzt dabei bei der „mutual intelligibility“ an, also bei der gegenseitigen Verständlichkeit.

Mutual intelligibility lässt sich einfach erklären: Wenn Sprecher A Sprecher B ohne Probleme verstehen kann, dann müssen A und B dieselbe Sprache sprechen. Und auf Basis dieses Prinzips wurde der ISO 639-3 Standard eingeführt, mit dem in der Linguistik zwischen Sprachen und Dialekten unterschieden wird. ISO 639-3 besteht im Kern aus drei Basiskriterien:

Erstens: Das Prinzip der gegenseitigen Verständlichkeit. Das habe ich soeben erklärt. Wenn es gegenseitige Verständlichkeit gibt, handelt es sich eher um zwei Dialekte als um zwei unterschiedliche Sprachen.

Zweitens: Wenn das Prinzip der gegenseitigen Verständlichkeit kein eindeutiges Ergebnis liefert, wird nach gemeinsamer Literatur oder anderen kulturellen Überlieferungen geschaut, mit denen sich die beiden Gruppen identifizieren. Wenn beide Gruppen diese Texte verstehen, ist dies ein Indiz dafür, dass es sich um Dialekte handelt und nicht um zwei unterschiedliche Sprachen.

Drittens: Wenn es genug gegenseitige Verständlichkeit gibt, um kommunizieren zu können, handelt es trotzdem um zwei unterschiedliche Sprachen, wenn sich beide Gruppen langanhaltend durch eine unterschiedliche kulturelle Identität unterscheiden und es Texte gibt, die einheitlich sind und sich von der Sprache der anderen Gruppe unterscheiden.

Quellen

Anderson, S. R. (2010). How many languages are there in the world. Linguistic Society of America.

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